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MAGAZIN - 5. Juli 2022

Ein Erlebnisbericht von Anja Freiburghaus (AF) und Marlis Liechti (ML). Grosshöchstetten, 5. Juli 2022: die letzte Klavierlektion - nach 11 Jahren gemeinsamem unterwegs sein am Klavier!

AF: Als ich in der ersten Klasse war, durfte ich zum ersten Mal in die Klavierstunde. Für mich war schon als kleines Kind klar, dass ich dieses Instrument lernen möchte und deshalb startete ich voller Freude in dieses Abenteuer. Weniger als ein halbes Jahr später kam mein erster Auftritt. Ich spielte das Lied „Ach bittrer Winter“, begleitet von meiner Gotte, die möglicherweise ihre Leidenschaft für das Klavierspielen auf mich übertragen hatte.
 

ML: Die kleine Anja stand mit viel Ernst und Würde auf einem Schemel neben dem Flügel, um mit ihren Händchen die Saiten zu erreichen. Von dort kam zur Einstimmung die akustische Botschaft von „eisiger Kälte“.

AF: Auftritte spielten immer wieder eine Rolle in meiner Unterrichtszeit. Obwohl ich jeweils nervös war und nicht immer so spielte wie ich es mir wünschte, sind die verschiedenartigen Aufführungen und Projekte eine schöne Erinnerung: Solo bis Quintett innerhalb der Klavierklasse, Geigenbegleitung, Open Air „Serenade“, „Traumpolin“, „Musik am Sonntag“, „Fete de la Musique“…

Durch die Auftritte erlebte ich, wie über die Jahre mein Selbstvertrauen zunahm. Im Zusammenspiel mit Andern wuchs meine Fähigkeit zu interagieren, mich anzupassen sowie auf Andere zu hören. Die Rolle, die das Klavier in meinem Leben bekam, geht über die Musik hinaus. Ich lernte mehr über mich selbst und die Klavierstunden prägten nebst meinem Musikstil auch meine Persönlichkeit. Ich habe gelernt, mehrere Wochen bis Monate ein Stück zu erarbeiten. Es entstand immer eine Beziehung zu den Musikstücken - das Fremde, Neue, wurde schrittweise zu meinem Eigenen.
Überhaupt sind diese 11 Jahre geprägt von Beziehungen – aller Art. Die Musik eröffnet mir einen Zugang zu einer emotionalen Seite, die sich mit nichts vergleichen lässt. Während ich ein Stück erarbeite, gebe ich immer einen Teil von meiner Persönlichkeit dazu. Wie fühle ich mich, was möchte ich ausdrücken, wie interpretiere ich diese Noten… Meine Aufmerksamkeit ist mit allen Sinnen im Hier und Jetzt. Mein Inneres gelangt durch die Musik nach Aussen, was häufig auch die Zuhörenden berührte.
 

ML: Beim Durchstöbern der Konzert-Programme finde ich den Namen „Anja“ 21-mal: von der Solistin bis zur Mitspielenden im Orchester...von der kleinen, ernsthaften „Saitenzupferin“ bis zur erwachsenen, kompetenten Song-Begleiterin. Vom ersten Lied - begleitet von der Gotte - zur Begleitenden. Und zur Spielerin der „Mondscheinsonate“ von Beethoven.
Und last but not least zur zuhörenden und Richtung gebenden Improvisatorin. Diese gemeinsame Leidenschaft, an zwei Klavieren zu Improvisieren, wagten wir am letzten Konzert vor Publikum zu zelebrieren. Ein besonderes Erlebnis!

Hier möchte ich anknüpfen an den Titel, „Zusammen auf-HÖREN: Bei jeder! Improvisation an zwei Klavieren war der Moment des Schlussklangs wie gegeben – von wo auch immer. Für uns immer wieder ein Moment des Staunens. Jegliche Erklärungsversuche sind gescheitert.
 

AF: Ein wichtiger Punkt ist auch die Beziehung zu meiner Lehrerin, die in diesen Jahren wachsen durfte. Ich erlebte mehr als „schöne Musik“. Ich erlebte Freundschaft. Und diese Freundschaft durfte während unserer Reise reifer und tiefer werden, was sich auch in der Musik widerspiegelte. Jede Woche machten wir uns gemeinsam auf die Reise, gemeinsam neue Fähigkeiten zu entdecken, zu lernen, die Stücke vertiefter kennenzulernen und zu verbessern.

ML: Es ist grundsätzlich ein Privileg, eine Schülerin, einen Schüler über eine so lange Zeit begleiten zu dürfen!

Wir haben elf Jahre gemeinsam gesucht, gefunden, gerungen, gelacht – und gespielt, gespielt, gespielt! Und dabei Grenze um Grenze erweitert. Das nennt sich lernen und lehren, in beiden Rollen; fürs Musik machen und fürs Leben überhaupt.

Ich darf Anja als eigenständige Musikerin „entlassen“. Und von Herzen danke sagen für so viel inneres und äusseres Engagement und – so viel Ernst und Würde - in allem Tun! Damit schliesst sich der Kreis. Und ein Neuer, Verheissungsvoller beginnt….
 

AF: Im Herbst beginne ich mein Studium und höre auf mit dem Klavierunterricht. Doch in meiner Erinnerung bleibt mehr als Musikunterricht: Fähigkeiten, wertvolle Erinnerungen und die Freundschaft zu meiner Lehrerin. Für dieses Mehr bin ich dankbar.